Christian Lindner im Interview mit dem Südkurier - Bundesfinanzministerium - Presse (2024)

  • Datum 16.08.2024

Südkurier: Herr Lindner, der Kanzler geht in den Urlaub und Sie gehen auf Bürgerdialog-Tour. Entspannt das auch?

Christian Lindner: Mir macht es Freude. Ich bin in die Politik gegangen, weil ich mich für Menschen interessiere und leidenschaftlich gerne debattiere. Deshalb bin ich nicht Unternehmer, Soldat oder Wissenschaftler, sondern Politiker. Insofern sind solche Termine die Essenz meiner Arbeit.

Südkurier: Hat Sie irgendeine Frage hier überrascht? Gibt es regionale Unterschiede bei den Bürgerdialogen?

Christian Lindner: Man merkt, dass die Themen, die wir öffentlich diskutieren, nicht immer die Themen sind, die die Menschen beschäftigen. Beispielsweise bekomme ich in den Veranstaltungen in der Regel viel Applaus, wenn ich die Solidität der Staatsfinanzen anspreche, während in der veröffentlichten Meinung mein Festhalten an der Schuldenbremse oft kritisch gesehen wird. In Friedrichshafen war überraschend, dass das Thema Einwanderung keine Rolle gespielt hat. Bei nahezu allen anderen Veranstaltungen kommt das Thema Migration nämlich sehr schnell Sprache. Völlig zu Recht erwarten die Besucher die Bekämpfung unkontrollierter Einwanderung in den Sozialstaat. Daran arbeite ich.

Südkurier: Kein Thema war auch der Haushalt. Da haben Sie ja in den letzten Tagen viel verhandelt, unter anderem über Videokonferenzen. Wie oft ging es da so hin und her?

Christian Lindner: Wir sind in einem fortwährenden Austausch. Die noch bestehende Aufgabe von 17 Milliarden Euromuss reduziert werden, aber es muss nicht die ganze Summe geschlossen werden. Für viele Bürgerinnen und Bürger mag das erstaunlich klingen, dass wir einen Haushalt mit einer geplanten Lücke von am Ende vielleicht neun Milliarden Euro aufstellen. Die Erklärung ist einfach: Bei 480 Milliarden geht nicht jedes Vorhaben auf, nicht jede Idee wird umgesetzt. Am Ende kann man mit gut zwei Prozent des Gesamthaushalts rechnen, der als Bodensatz übrig bleibt. Ausgeschlossen sind für mich Steuererhöhungen und Umgehungen der Schuldenbremse, denn unsere Verfassung müssen wir beachten.

Südkurier: Und woran hakt es jetzt eigentlich? Die größte Differenz besteht zwischen ihnen und dem Kanzler, oder?

Christian Lindner: Am Geld! (lacht) Es gab Ideen, die verfassungsrechtlich ausgeschlossen waren. Bei anderen Vorschlägen kommt die Verfassungsmäßigkeit sehr auf die Ausgestaltung an. Dabei muss man immer an die Wirtschaftlichkeit denken. Denn wir wollen ja kein Geld verschwenden. Da ist Detailarbeit zu leisten.

Südkurier: Vergangenen Herbst haben Sie eine Niederlage erlitten vom Bundesverfassungsgericht mit dem letzten Haushalt. Wie sehr hat Sie das traumatisiert?

Christian Lindner: Ich bin nicht traumatisiert, sondern sensibilisiert. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Grundsatzurteil erstmals umfassend die Schuldenbremse eingeordnet. Anlass war ein Buchungsvorgang, der während der Koalitionsverhandlungen noch vor meiner Amtszeit entwickelt wurde. Ich reklamiere also nicht die Urheberschaft, aber ich trage die politische Verantwortung. Meine Konsequenz ist, die präzisierte Rechtslage genau zu beachten.

Südkurier: So etwas wird Ihnen nicht noch mal passieren?

Christian Lindner: So ist es. Ich schließe Dinge aus, die verfassungsrechtlich riskant sind. Übrigens bin ich auch ökonomisch davon überzeugt, dass wir uns nicht uferlos verschulden sollten. Wir nehmen viele MilliardenEuro Kredite auf, damit wir investieren. Aber alles hat eine Grenze, denn Zinsen für Kredite belasten uns und künftige Generationen. Wir haben seit vielen Jahren einen Investitionsstau. Bei Schulen, Brücken, Bundeswehr und so weiter. Das können wir aber nicht im Hauruck-Verfahren auflösen. Wir brauchen also dauerhaft ein höheres Investitionsniveau in den öffentlichen Haushalten. Umschichten und Prioritäten ordnen, das ist angesagt.

Südkurier: Ihre Partei möchte das Bürgergeld senken. Warum wollen Sie bei den Schwächsten sparen?

Christian Lindner: Ihre moralische Einordnung teile ich nicht. Umgekehrt: Wer arbeiten kann, hat gegenüber der Gesellschaft eine Verpflichtung, es auch zu tun. Außerdem muss es einen hinreichenden Abstand zwischen Lohn für Arbeit und sozialer Unterstützung geben, damit sich Arbeit immer auszahlt. Die Bundesregierung wird das Bürgergeld daher umbauen, weil es nicht alle Erwartungen erfüllt hat. Wir haben zum Beispiel schärfere Mitwirkungspflichten, Meldepflichten und neue Zumutbarkeitsregeln vereinbart. Außerdem gibt es im kommenden Jahr eine Nullrunde beim Regelsatz von 563Euro, weil die Inflation überschätzt wurde und das Bürgergeldes deshalb zu stark angehoben wurde. Rein rechnerisch müsste der Regelsatz sogar sinken.

Südkurier: Da werden Ihre Koalitionspartner aber nicht mitmachen.

Christian Lindner: Das ist mir bekannt. Die Bürgerinnen und Bürger können sich dazu ihr Urteil bilden.

Südkurier: Man hat den Eindruck, dass dieser Haushaltsstreit nur ein Symptom ist, weil es bei der Ampel immer rumpelt. Sind Sie zu verschieden?

Christian Lindner: Die drei Parteien sind sehr unterschiedlich. Zusammengebracht haben uns nicht die inhaltlichen Übereinstimmungen, sondern die Verantwortung für das Land in der Situation nach der letzten Wahl. Weniger Drama wäre mir sehr recht. Allerdings bekümmert mich, dass Ideensuche und auch Meinungsstreit in der Politik als ein pathologisches Symptom dargestellt werden. Besonders geräuschlos sind ja die Herrschaftsformen, wo es keine Demokratie, keine Wahlfreiheit, keine Transparenz des Regierungshandelns, keine öffentliche Kontrolle von Mächtigen gibt.

Südkurier: Zuletzt hat Ihre Partei mit Autoplänen für Wirbel gesorgt, auf die nicht mal der ADAC positiv reagiert hat. Dann ist doch etwas schief gelaufen, oder?

Christian Lindner: Einzelhändler, die im scharfen Wettbewerb zu Online-Angeboten stehen, haben positiv reagiert. Denn für die Einkäufe ist die Nutzung des Autos offenbar vielen wichtig. Aber die FDP macht nicht Politik für Verbände, sondern für die Bürgerinnen und Bürger. Uns geht es um die Wahlfreiheit der Menschen, ihre Mobilität nach eigenen Wünschen zu gestalten. Ausdrücklich auch mit dem Auto.

Südkurier: Sind Sie begeisterter Autofahrer. Sind Sie auch manchmal Radfahrer?

Christian Lindner: Das sind Klischees. Die meiste Zeit verbringe ich in Verkehrsmitteln wie Taxi, Flugzeug und Bahn, wo ich nebenbei arbeiten kann. In meinem persönlichen Fall gehören Fahrrad und eigenes Auto eher zur Freizeit als zum Alltag.

Südkurier: Im FDP-Papier wird vorgeschlagen, dass Kommunen das Parken zum Teil kostenlos machen sollen. Aber dann fehlen denen die Einnahmen.

Christian Lindner: Die Entscheidung liegt bei den Kommunen. Wir haben beispielsweise in Berlin erlebt, dass die von grüner Politik gut gemeinte Sperrung einer Straße für das Auto zu dramatischen Umsatzeinbrüchen der Händler und am Ende zu Leerstand geführt hat. Die Entscheidung über Parkraum ist mitunter Teil der Wirtschaftsförderung.

Südkurier: Und dafür werden die Gemeinden dann vom Bund unterstützt?

Christian Lindner: Nein, das ist eine kommunale Angelegenheit.

Südkurier: Baden-Württembergs Finanzminister Bayaz sagte kürzlich, als Finanzminister müsse man geerdet sein, weil alle was von einem wollen. Was erdet Sie?

Christian Lindner: Geerdet sollte man als Politiker immer sein. Dafür hat man Familie und Freunde. Außerdem erdet die Einsicht, dass es Ämter auf Zeit sind. Anders als Herr Bayaz würde ich aber sagen, dass ein Finanzminister vor allem unabhängig sein muss. Denn wer abhängig ist vom Koalitionspartner, der eigenen Partei oder auch nur dem Wunsch nach dem täglichen Applaus des Publiku*ms, der wird als Finanzminister nicht glücklich.

Südkurier: Beim Finanzministertreffen in Bregenz haben Sie sich seelischen Beistand geholt. Wie einsam ist es, Finanzminister zu sein in dieser Ampelkoalition?

Christian Lindner: Finanzminister sind immer die einsamsten Kabinettsmitglieder! (lacht) Eine Kollegin hat mal scherzhaft berichtet, sie traue sich abends nicht allein vor die Tür, weil sie befürchten müsse, dass die anderen Minister ihr auflauern und sie verhauen. Tatsächlich muss es einen geben, der die langfristige Entwicklung der Staatsfinanzen und die Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im Blick hat. Die müssen ihre Rechnungen bezahlen und den Kühlschrank vollmachen. Die wollen mal in den Urlaub fahren, brauchen alle paar Jahre vielleicht ein neues Auto, und manche haben sogar den Traum, irgendwann eine eigene Wohnung oder ein Haus zu besitzen. Deshalb muss die Politik immer wieder prüfen, ob sie nicht zu viel von der arbeitende Bevölkerung verlangt. Ein Grund, warum wir immer wieder die Steuerlast reduzieren. In den nächsten beiden Jahren um 23 MilliardenEuro.

Südkurier: Sie sind der Hüter der Schuldenbremse. Es gibt aber alternative Möglichkeiten, für Geld zu sorgen, indem man wie bei der Bundeswehr Sondervermögen aufstellt. Ist da mit Ihnen zu reden?

Christian Lindner: Bei Notlagen habe ich Ausnahmen von der Schuldenbremse ja selber beantragt, für die Strom- und Gaspreisbremse zum Beispiel. Die 100 MilliardenEuro Sondervermögen für die Bundeswehr gehen zurück auf meine Initiative, weil es nicht möglich war, so schnell die Mittel für die Streitkräfte zu erhöhen, wie es die neue geopolitische Lage erfordert. Aber egal, wie man es macht: Wir zahlen Zinsen für die Schulden. Und es ist nicht gesichert, dass das Geld wirklich zu mehr Investitionen führt. Wir haben zudem europäische Regeln. Die vielen, vielen Milliarden, die von Teilen der CDU über die SPD, den Grünen bis hinzu manchen Ökonomen gefordert werden, stehen nach meiner Auffassung im Widerspruch zu den europäischen Regeln. Wir dürfen schlicht gar nicht so viel mehr Schulden machen. Der Preis wäre, dass es in Europa hieße „Merci und Grazie! Wir machen das dann auch.“ Dann haben wir schnell wieder eine Staatsschuldenkrise, wie wir sie vor 15 Jahren hatten.

Südkurier: Wo wollen Sie das Geld dann hernehmen?

Christian Lindner: Dieser Staat hat so viel Geld, bald eine BillionEuro im Jahr. Wir müssen es effektiver einsetzen. Daran arbeite ich fortwährend. Weniger Selbstverwaltung des Staates, weniger Fehlanreize im System der sozialen Sicherung, Unterbinden von illegaler Einwanderung, Prüfung unseres internationalen Engagements. Wenn wir das schaffen, dann haben wir für Bildung, Sicherheit, Infrastruktur und Digitalisierung deutlich mehr Möglichkeiten, ohne die Bürger zu belasten.

Südkurier: Sylt ist einer ihrer Lieblingsorte, Sie sind immer wieder dort, haben dort geheiratet. Dass dort junge Leute nationalistische Lieder angestimmt haben, hat daran nichts geändert?

Christian Lindner: Hat die Schönheit der Natur irgendetwas mit politischer Desorientierung von Gästen zu tun?

Südkurier: Reisen Sie dieses Jahr wieder hin?

Christian Lindner: Nein, wir waren eine Woche in Italien.

Südkurier: Und das war's?

Christian Lindner: Ja, weitere Urlaubsreisen stehen nicht an.

Südkurier: Da hat ja sogar der Kanzler mehr Urlaub gemacht.

Christian Lindner: Machen Sie sich keine Sorgen. Für mich ist Arbeit nicht lästig oder unangenehm. Mir macht sie Freude, ist Teil meiner Persönlichkeit und gibt dem Tag einen Sinn.

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